Hermann Knoflacher. Foto, 2019 © Zur Verfügung gestellt von Hermann Knoflacher (privat)

Allgemeine Anmerkungen zu den vorliegenden Unterlagen

Der Fachentwurf zum Zielnetz 2040 besteht im Wesentlichen aus Beschreibungen mit Wiederholungen deren Wahrheitsgehalt mit der Zahl nicht zunimmt. Durch detaillierte Zergliederung einzelner Teilbereiche entsteht der Eindruck qualifizierter Bearbeitung. Gleichzeitig werden aber grundlegende Gesetzmäßigkeiten des Systemverhaltens, wie die Konstanz der Reisezeiten missachtet und betriebliche Effekte mit volkswirtschaftlichen verwechselt, wenn mit einer Größe, die es nicht gibt, der Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit, volkswirtschaftlicher Nutzen berechnet wird. Neben der literarischen Darstellung fehlen aber nachvollziehbare numerische Grundlagen und Wirkungsanalysen für die einzusetzenden Steuermittel ebenso wie alternative Varianten zur Beurteilung der hier gemachten Vorschläge. Während man genau weiß, wieviel Mittel in den nächsten 15 Jahren den Staatshaushalt belasten sollen, bleibt unbekannt, wie sich die analogen bereits realisierten Projekte bewährt haben, bzw. wieweit die Realität von den „Visionen“ (dieser Begriff taucht in diesem Bericht auf) abweichen. Auf der Grundlage von Visionen, die grundlegendes Systemverhalten negieren, können rationale Entscheidungen nicht getroffen werden.

Wie das Verkehrssystem im Jahr 2040 insgesamt sein soll bzw. aufgrund der geänderten Randbedingungen sein müsste, wird in dem Fachentwurf Zielnetz 2040 nicht thematisiert. Es ist eine Fortschreibung des Status quo und berücksichtigt nicht die in den Städten und zunehmend auch Kommunen laufenden Bemühungen einer integrierten Verkehrssystemorganisation. Städte und Gemeinden sind nur durch die Einwohnerzahlen und daher mangelhaft repräsentiert. Es fehlt die solide Darstellung der Ausgangssituation, ebenso die in dem System bestehenden Eigendynamiken. Beim Lesen entsteht der Eindruck eines Planspiels für ein Modellbahnsystem und nicht für eine Eisenbahnzukunft für Menschen, was sich auch am Fehlen verhaltenswirksamer Qualitätsfaktoren in den Unterlagen zeigt.

Auszug aus den Anmerkungen zu den Unterlagen in https://www.bmk.gv.at/themen/verkehrspla-nung/ausbauplan/zielnetz.html

Voraussetzung für jede Planung ist die Kenntnis des Ausgangszustandes des Systems, das zu bearbeiten ist.

• Die primäre Frage, was das Ziel des Zielnetzes 2040 sein soll, fehlt. Oder reduziert sich dieses auf die Summe von zusätzlich 30 Milliarden Steuergelder für die Liste der Projekte?

• Es fehlt auch eine quantitativ überprüfbar nachvollziehbare Grundlage über die bisher bei einschlägigen Projekten bekannten Wirkungen, Vergleich der den bisherigen Entscheidungen zugrunde gelegten Prognosen mit der realen Entwicklung im Personen- und Güterverkehr etc.

• Die Berechnungen entsprechen nicht der Realität der Systemwirkungen. So geht man von Reisezeiteinsparungen aus, die zwar betriebswirtschaftlich interessant sind, aber volkswirtschaftlich nicht verwendet werden können, weil es sie im System nicht gibt. Daher wären sie nur zulässig, wenn die Gesamtkosten von den ÖBB allein getragen werden und keine öffentlichen Mittel erforderlich sind.

• Die innerhalb Österreichs erzielten Reisezeiteinsparungen durch Geschwindigkeitserhöhung kommen bei grenzüberschreitenden Verbindungen vor allem dem Ausland zugute. Hier wiederholt sich der Fehler der Raumplanung aus der Dringlichkeitsreihung der Bundesstraßen aus 1975.

• Dass die Erhöhung der Geschwindigkeiten dazu führt, dass damit mit enormen Energieaufwand kurze Wege durch lange Wege ersetzt werden, weiß man schon seit dem Lill´schen Reisegesetz 1889. Dass das weder klimafreundlich ist noch der lokalen Wirtschaft dient, sondern die Dominanz der großen internationalen Konzerne nur verstärkt, wird nicht behandelt.

• Es fehlt der Nachweis für alternative Varianten aus denen ersichtlich ist, dass die vorgeschlagenen/vorgestellten Projekte die umfassend besten sind und in welchem Ausmaß sie gegen-über anderen Lösungsvarianten und -strategien Vorteile haben.

• Es fehlt eine Risikoabschätzung als Grundvoraussetzung für jede Entscheidung.

• Die Widersprüche in den Zielen: eine Minimierung der Reisezeit, bei einer gleichzeitigen Maximierung der Erreichbarkeit, unter Gewährleistung von maximaler Sicherheit, Komfort und Qualität sind nicht aufgelöst.

• Die Methode des Vierstufenmodells entspricht nicht dem Standard einer qualifizierten Planungsmethode.

• Die sektorale Bearbeitung ist nicht in eine Gesamtbetrachtung mit vergleichbaren Indikatoren, wie etwa dem Verkehrswert eingebettet.

• Das Zielnetz stellt keine Anforderungen an die notwendigen Änderungen der Randbedingungen im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern und ist daher in dieser Form unvollständig. Wenn das Ministerium nicht in der Lage ist, diese Anforderungen sachlich fundiert zu begrün-den und auch umzusetzen, ist das Zielkonzept primär spekulativ.

• Einzelne der willkürlich gezogenen Linien führen durch topografisch und geologisch problematische Zonen mit erheblichem Risikopotential.

• Die ausgewiesenen Nutzen-Kostenfaktoren liegen weit außerhalb der von international anerkannten Büros berechneten Werte vergleichbarer Projekte und sind nicht nachvollziehbar dargestellt. Es wird empfohlen Größen, die es im System nicht gibt, wie Zeiteinsparungen aus der Berechnung zu entfernen, um den realen Wirkungen Rechnung zu tragen.

Für Gemeinden und Städte sind folgende Effekte von besonderer Bedeutung:

• Die Gemeinden und Städte sind in dem Fachentwurf nicht Zweck der Investitionen, sondern Mittel für Bauprojekte.

• Die Systemabgrenzung schließt die für die Zukunft der Gemeinden und Städte wesentlichen Verkehrsträger Fußgänger und Radverkehr aus.

• Die Vorleistungen und Belastungen der Städte und Gemeinden durch dieses Zielkonzept wer-den nicht behandelt. Der Fachentwurf ist auf die Linien reduziert und vernachlässigt die für die angestrebten Ziele notwendendige Rückkopplung auf Städte und Gemeinden.

• Die Bahn wird nicht als Flächenbahn betrachtet, sondern auf Linien reduziert, die möglichst ohne Kontakt zum Umfeld realisiert werden können. Übrigbleiben, wie schon bei den bisherigen Großbauvorhaben die Fläche, die meisten Städte und Gemeinden.

• Für Gemeinden und Städte sind Bahnhöfe mit häufiger Bedienung und deren Erreichbarkeit von wesentlicher Bedeutung. Ein Faktor, der im Zielnetz unterbelichtet ist.

• Wird die heute ohnehin durch die schnellen Zugverbindungen auf Kosten der Haltepunkte ver-stärkte Disparität zwischen großen und kleinen Städten und Gemeinden weiter vergrößert?

• Da die Verwendung der Steuermittel nicht ohne Auswirkungen auf die Finanzen der Gemein-den und Städte hat, ist die Frage zu beantworten, wie sich das für das Zielnetz verwendete Steuergeld auf die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen auswirken wird? Allein dafür ist die Analyse aus den bisherigen Projekten wichtig.

Technische und wirtschaftliche Fragen:

• Kosten, also der Aufwand, werden bei allen Projekten angeführt, Fahrzeitverkürzungen aber nur erwähnt, nicht aber deren Ausmaß quantitativ angegeben.

• Angesichts der bescheidenen Anteile des Schienenfernverkehr an der Personenmobilität und des stagnierenden Schienengüterverkehrs sind die im Zielnetz vorgesehenen Aufwendungen sachlich nicht ausreichend begründet.

• Ohne massive Eingriffe in den Sektor Straßenverkehr ist das Zielnetz nicht mehr als reine Spekulation auf Kosten der Steuerzahler, der Zukunft und der lokalen Betriebe.

• Auf die unterschiedlichen und teilweise wenig sinnvollen Detailbehandlung einzelner Themen-bereiche bei gleichzeitigem Fehlen des Gesamtzusammenhanges soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Fragen die offen bleiben:

• Hat das Ministerium den Einfluss der städtischen Verkehrspolitik auf die Verkehrsmittelwahl im System berücksichtigt?

• Wenn die städtische und kommunale Verkehrspolitik von Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl der Eisenbahn hat, müssten Kommunen und Städte auch an den finanziellen Zuschüssen beteiligt werden.

• Wie haben sich die bisherigen Investitionen auf die Verkehrsmittelwahl im Güterverkehr ausgewirkt?

• Welche Wirkung auf die Verkehrsmittelwahl wird durch das sektorale Zielnetz 2040 erzielt?

• Wie erklärt sich der Nutzen aus Zeiteinsparungen, wenn seit Jahrzehnten bekannt ist, dass die Mobilitätszeit im System praktisch gleichgeblieben ist, ja sogar länger wurde, je mehr in Beschleunigung investiert wurde?

Die Wirkungen des Zielnetzes 2040 lassen sich zusammenfassen:

Für zusätzlich 30 Milliarden Investitionen – vermutlich durch Kreditaufnahme = Schulden,

• bleibt die Gesamtreisezeit im System gleich,

• die Weglängen für die gleichen Zwecke werden länger,

• der Mobilitätsaufwand steigt,

• die Zerstörung der Landschaft ist größer,

• die Disparitäten im Raum werden vergrößert,

• die Zuschüsse in die Eisenbahnen werden größer,

• die lokale Wirtschaft wird gegenüber den internationalen Konzernen noch mehr benachteiligt,

• das Pendlerdasein wird ausgeweitet,

• Bahnhöfe werden nur aus betrieblicher Sicht behandelt und nicht in ihrer zentralen Bedeutung für Gemeinden und Städte,

• der Transitverkehr auf den Autobahnen und Straßen wird weiter zunehmen,

• der Schuldenberg wird zusätzlich vergrößert.

Wien, 17. 04. 2024 Em. o.Univ. Prof. Dipl. Ing. Dr. tech. Hermann Knoflacher

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